Panoramafoto vom Gipfel des Kreuzbergs mit den Golgathakreuzen
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Mit 928 Metern Höhe ist der Kreuzberg der höchste Berg in Unterfranken. Als „heiliger Berg der Franken“ ist er jedes Jahr das Ziel von Wallfahrerinnen und Wallfahrern. Neben den drei Golgatha-Kreuzen auf dem Gipfelplateau (Foto) ist der Kreuzberg auch für das an seinem Westhang angesiedelte Franziskanerkloster bekannt. Hier lebt heute eine kleine Hausgemeinschaft der Franziskanerbrüder, die Wallfahrtskirche und Gottesdienste betreuen. Der Kreuzberg ist wegen seines Ausblicks und vor allem wegen der dort angesiedelten Klosterbrauerei und -gaststätte zudem ein beliebtes Ausflugsziel.

Ohne das Handwerk ist kein Staat zu machen

Aus dem Buch Jesus Sirach, Kapitel 38, 27 - 33:

Arbeiten muss auch der Handwerker und Künstler, der Tag und Nacht beschäftigt ist, der Siegelringe schneidet oder dessen Aufgabe es ist, eine Verzierung zu verändern; er richtet sein Herz darauf, ein treffendes Bild zu gestalten, und seine Wachsamkeit gilt der Vollendung des Werkes. Ebenso der Schmied, der am Amboss sitzt und auf die eisernen Geräte achtet, dem der Hauch des Feuers die Haut versengt und den die Hitze des Ofens durchglüht, dem der Lärm des Hammers das Ohr betäubt und dessen Augen auf das Muster des Gerätes gebannt sind, der seinen Sinn auf die Vollendung der Stücke richtet und darauf bedacht ist, das fertige Werk zu verzieren. Ebenso der Töpfer, der vor seiner Arbeit sitzt und mit seinen Füßen die Scheibe dreht, der unaufhörlich um seine Arbeit besorgt ist und dessen ganzer Eifer der großen Anzahl gilt, der mit dem Arm den Ton knetet und ihm mit den Füßen die Zähigkeit nimmt, der seinen Sinn auf die Vollendung der Glasur richtet und darauf bedacht ist, den Ofen richtig zu erhitzen. Sie alle verlassen sich auf ihre Hände, und jeder ist erfahren in seinem Geschäft. Ohne sie wird keine Stadt besiedelt, und wo sie sich niederlassen, hungern sie nicht. Aber zur Volksversammlung werden sie nicht hinzugezogen.

Das alttestamentliche Buch Jesus Sirach wurde um das Jahr 200 vor Christus in Jerusalem verfasst und steht in der Tradition der jüdischen Weisheitsliteratur. Vor 2200 Jahren geschrieben und immer noch aktuell. Drei unterschiedliche alte Handwerke werden genannt, die es auch heute noch gibt. Der Handwerker, der künstlerisch gestaltend tätig ist "richtet sein Herz darauf, ein treffendes Bild zu gestalten, und seine Wachsamkeit gilt der Vollendung des Werkes." Handwerkerinnen und Handwerker brauchen ihre Sinne, sie müssen ihre Materialien anschauen, fühlen, spüren, prüfen. Das fertige Produkt muss stimmen, es muss sich gut anfühlen, es muss gut in der Hand liegen. Der Schmied ist bei seiner kräftezehrenden Arbeit Hitze und Lärm ausgesetzt; zur Zeit des Jesus Sirach vermutlich noch viel mehr als in den heutigen Betrieben mit modernen Produktionstechniken. Der Töpfer muss auf Massenproduktion setzen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.



Auch heute müssen Handwerkerinnen und Handwerker Lust und Freude an ihrer Materie, an ihren Materialien haben und sie mit Herz und Sachverstand, mit Kreativität, Kraft, Gefühl und Geschick bearbeiten. Wenn Handwerker nicht den Anspruch an sich stellen, etwas Gutes und Schönes zu schaffen, dann entwickelt sich keine Freude, dann bekommt man es zwar wohl auch fertig, aber eher lustlos, freudlos, geistlos; es ist nur Arbeit in einem Job als Broterwerb. Das merkt man dann auch früher oder später. Handwerkerinnen und Handwerker, die mit Herz und Sachverstand ihr Handwerk ausüben, können ein gesundes Selbstbewusstsein und Standesbewusstsein entwickeln, weil sie wissen, was sie geschaffen haben, was sie schaffen können, was sie sich in vielen Jahren als Sachkunde und als handwerkliches Geschick angeeignet haben.



Dann kommen aber noch die letzten beiden Sätze im Text des Jesus Sirach: "Ohne sie wird keine Stadt besiedelt, und wo sie sich niederlassen, hungern sie nicht. Aber zur Volksversammlung werden sie nicht hinzugezogen." – "Ohne sie wird keine Stadt besiedelt" – ohne das Handwerk ist das Leben in der Stadt nicht möglich – denken wir nur an die Bedeutung der Handwerkszünfte im Mittelalter, die tragende Säulen der städtischen Gesellschaft waren. "Ohne sie wird keine Stadt besiedelt" – anders gesagt: Ohne das Handwerk ist kein Staat zu machen. Und dann folgt die Klage im letzten Satz: „Aber zur Volksversammlung werden sie nicht hinzugezogen." Auch das klingt in meinen Ohren aktuell – wir brauchen nur "Volksversammlung" durch "Parlament" zu ersetzen. Gepriesen werden sie zwar von unseren Politikern und Politikerinnen, der Mittelstand, die kleinen und mittleren Unternehmen, aber sie haben oft darunter zu leiden, wenn Gesetze und kleinteilige Regelungen und immer neue Auflagen und Berichtspflichten beschlossen werden, ohne dass ihre Erfahrungen, ihre Vorschläge und Anliegen berücksichtigt werden, weil die Abgeordneten sich eher durch Ideologie und Parteidisziplin als durch das Hören auf die Anliegen ihrer Wähler leiten lassen.



"Ohne sie wird keine Stadt besiedelt, und wo sie sich niederlassen, hungern sie nicht." "Sie hungern nicht" – Handwerk hat goldenen Boden, sagte man früher. Das trifft heute so vielleicht nicht mehr ganz zu, aber Handwerkerinnen und Handwerker stehen auf dem Boden der Realität, auf dem Boden der Wirklichkeit; das unterscheidet sie manchmal von Politikern. "Wir sind umzingelt von Wirklichkeit" – dieser Satz von Robert Habeck hat Schlagzeilen gemacht. Doch wir können keine Brandmauern gegen die Wirklichkeit errichten. Wir sind, wir leben und wir bewegen uns im wahren Leben – in der Wirklichkeit. Wir sind ein Teil der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit, die Welt und die Zeit, in der wir leben, das ist nicht unser Feind, gegen den wir uns abschotten müssen, nein, das ist unsere Welt und unsere Zeit, die wir gestalten sollen und mit deren Herausforderungen wir uns auseinandersetzen müssen. Liebe Handwerkerinnen und Handwerker, bleiben Sie auf dem nicht immer goldenen, aber doch soliden Boden Ihres Handwerks. Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen die Freude am Handwerk, an Ihrem Handwerk, erhalten bleibt und dass Sie sich ein gesundes Selbstbewusstsein und Standesbewusstsein als Angehörige des Handwerks bewahren können, denn ohne das Handwerk ist kein Staat zu machen.

Zur Person

P. Georg Andlinger OFM (81)

Früher Lehrer in Osnabrück, dann Mitarbeiter in der Verwaltung der Deutschen Franziskanerprovinz in München, seit 2016 auf dem Kreuzberg in der Rhön.

 weitere Informationen zum Kloster Kreuzberg

Porträtfoto von Pater Georg Andlinger
Kloster Kreuzberg